Warum ein ERP-System nicht alle im Unternehmen glücklich macht, oder:

Warum die Fertigung in Industrie 4.0 Veränderungen fordert

Autor: Dipl.-Ing. Bernhard Falkner, Geschäftsführer Industrie Informatik

ERP- und MES-Lösungen dienen der Optimierung von Geschäfts- und Produktionsprozessen. Unternehmen setzen heute verstärkt auf die Vorteile beider Systeme, da ERP-Systeme erfahrungsgemäß nicht die planungs- und fertigungsnahen Stärken flexibler MES-Lösungen im Produktionsumfeld aufweisen können. MES-Systeme können schnell reagieren und bieten die Flexibilität, die immer rasanter auftretenden Veränderungen im Fertigungsbereich rasch abzubilden und diese optimal zu unterstützen.

MES- und ERPSysteme arbeiten ideal eingesetzt eng zusammen und können so ihre jeweiligen Funktionalitäten ideal ausspielen.

ERP-Systeme sind komplex und schwerfällig, sorgen aber auch für eine Optimierung von Geschäftsprozessen und Standardisierung der Organisation; sie erleichtern und optimieren zudem die Kommunikation zwischen Abteilungen. Ihre Stärken haben sie vornehmlich im Finanz- und Rechnungswesen, im Controlling, in der Personalwirtschaft, in Verkauf und Marketing und in der Stammdatenverwaltung. Und sie haben einen Grobplanungshintergrund, der sehr wesentlich ist und auf dem jedes MES üblicherweise aufbaut. ERP ist daher ohne Frage das Fundament, auch in der Fertigung. In der täglichen Arbeit eines Fertigungsunternehmens hingegen geht es beispielsweise nicht um die Vorschau über mehrere Monate, sondern darum, was in den nächsten Stunden, in den nächsten Schichten passiert. In diesem Kurzfristbereich sind eine hohe Flexibilität und auch ein bestimmter Detailliertheitsgrad gefragt, was von ERP-Systemen eben nicht in dieser Qualität geleistet werden kann und muss. Die VDI-Richtlinie VDI5600 formuliert es so: „Manufacturing Execution Systems (MES) sind nicht nur Instrumente zur Generierung von Kennzahlen. Ermöglicht wird auch die permanente Neubewertung der aktuellen Fertigungssituation und somit eine permanente Neuplanung für das Fertigungsgeschehen in der nahen Zukunft.“ Also ganz nah dran, an der Fertigung, an den Maschinen und an den Werkern.

 

Verlässliche Daten aus dem MES fürs Management

Die Vorteile von MES-Lösungen in der Fertigung beginnen also ganz vorne im Bereich der Planung. Durch eine Feinplanung im MES entstehen hier Möglichkeiten von Rüstoptimierung und genauer Belegung von Einzelmaschinen. ERP-Systeme belegen hingegen üblicherweise Arbeitsplatzgruppen und gehen nicht mehr bis auf das Einzelaggregat herunter. Es ist eher selten, dass hier noch eine Sekundärressource wie der einzelne Werker berücksichtigt werden kann. Die Feinplanung in einem MES-System hingegen setzt sich mit genau diesen Themen auseinander. Dort ist dann auch die Kopplung zu PZE-Systemen und zu Schichtmodellen vorhanden. Im ERP hat man in der Regel Kapazitätstöpfe die man aus einem Betriebskalender entnimmt und nicht aus der konkreten Planungssituation mit den aktuellen Personalkapazitäten, wie ein MES das macht. Dennoch ist ein MES-System nur eines von vielen Systemen, die wie Satelliten um das ERP herum angeordnet sind. In der Praxis entsteht oft aus Bereichen wie BI, Big Data, Controlling oder QS eine gesamte Systemlandschaft.

MES-Systeme reagieren schnell und bieten die nötige Flexibilität, die im Fertigungsbereich nötig ist.

Das ERP-System ist und bleibt jedoch das notwendige Rückgrat, während ein MES-System ganz klar in Richtung Fertigung abzielt und das Bindeglied zur Maschine darstellt. Das MES sorgt für die Daten aus der realen Welt, wie sie eben in der Fertigung anfallen – zeitnah mit guter Qualität und nur einmal erfasst. Die Bereitstellung der Daten erfolgt aber in einem Detallierungsgrad, der ein ERP-System im Normalfall gar nicht interessiert und den es auch nicht liefern kann. Daher werden diese Daten verdichtet und validiert an das ERP-System weitergegeben, damit dort die zu bewältigenden Aufgaben wie Nachkalkulation, die gesamte Abwicklung des Kundenauftrags bis hin zur Lieferung auf einer validen Datenbasis fundiert gemanagt werden können. In dieser vom MES erzeugten hohen Qualität, bilden diese Daten schließlich eine verlässliche Basis zur Berechnung von Kennzahlen und Darstellung detaillierter Informationen. Die damit geschaffene Informationszentrale findet in den verschiedensten Bereichen Anwendung und steht somit einerseits für Produktionsmitarbeiter parat und dient zeitgleich als Basis für Managemententscheidungen.

 

Fertigung in Industrie 4.0 fordert Veränderungen

Blickt man nun in Richtung ‚Industrie 4.0’ und in die Zukunft der Produktion, wird schnell klar, dass sich beide Systeme ändern müssen – allerdings mit verschiedenen Anforderungen. Industrie 4.0 ist ein breites Thema, bei dem automatisierungstechnisch getrieben neue Möglichkeiten in der Produktion entstehen, die wiederum neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Und genau diese neuen Geschäftsmodelle müssen natürlich auch von einem führenden System wie ERP unterstützt werden. Was nun die MES-Systeme anbelangt, wird Industrie 4.0 auch hier zu Veränderungen führen – wenn nicht in Richtung einer Produktion mit Losgröße 1, dann zumindest in Richtung Unterstützung kleinerer Losgrößen. Dies wird sicher für Serienfertiger im ersten Schritt noch nicht so relevant sein, für Kleinserienfertiger hingegen schon. Das alles führt zu einer viel feineren Erfassung von Daten des einzelnen Werkstücks, des einzelnen Produkts – also direkt am Shop Floor. Auf dieser Basis kann man die Fertigung flexibilisieren und damit auch die Wertschöpfung weiter optimieren – vielleicht kann man sogar Rüstzeiten mit anderen Methoden verringern oder sie erst gar nicht entstehen lassen. Das sind sicherlich Dinge, die im Zusammenspiel von MES und Automatisierungstechnik mit der Maschine passieren werden.

Autor des Textes ist Dipl.-Ing. Bernhard Falkner, Geschäftsführer Industrie Informatik.

In einem zweiten Schritt können dann Ideen entstehen, das vorhandene Kapital an Daten auch entsprechend firmenübergreifend und für neue Geschäftsmodelle zu nutzen. Welche Geschäftsmodelle das sein werden und welcher Dynamik sie unterliegen, lässt sich vielleicht mit einem Blick in den Consumer-Bereich erahnen: Wenn man nun an ähnliche Umbrüche auch im Business-to-Business-Bereich denkt, an neue Geschäftsmodelle von kreativen Köpfen, dann ist auch ein ERP-System gefragt, das hier entsprechend Unterstützung liefert. Das immense Kapital an Daten aus dem MES im Industrie 4.0-Umfeld wird auch in den ERP-Systemen zwangsläufig zu Umbrüchen führen, sodass die damit verbundenen Möglichkeiten abgebildet werden können. So gesehen sollten MES und ERP wachen Auges und gemeinsam den Weg in Richtung Industrie 4.0 gehen, wollen sie auch hier wieder ihre wahren Stärken im Zusammenspiel entfalten. Bilder: Industrie Informatik