Gastbeitrag von Magister Harald Horner, Leiter Produktmanagement, Industrie Informatik
Linz – A. Schlagworte wie Industrie 4.0, Smart Factory und Smart Products haben die Bemühungen vieler Unternehmen auf dem Weg zur intelligenten Fabrik zusätzlich befeuert. Eine zentrale Rolle spielen dabei die eingesetzten Software-Systeme, die den Produktionsablauf, und viel mehr noch die gesamte Wertschöpfungskette digitalisieren sollen. Manufacturing Execution Systems (MES) rücken hier immer öfter in den Mittelpunkt. Dementsprechend groß und schwer überblickbar ist heute der Anbietermarkt für die produktionsoptimierende Software. Viele neue Anbieter drängen herein, wollen ein Stück vom Kuchen und sich mit verschiedensten Geschäftsmodellen etablieren. Die Definitionen und Einsatzgebiete zum Begriff ‚MES‘ werden logischerweise immer vielfältiger – die Grenzen verschwimmen.
Betrachtet man die Systemarchitektur eines produzierenden Unternehmens als Pyramide, in der das MES als Bindeglied zwischen Automatisierungsebene und übergeordnetem ERP-System dient, so ist es kaum verwunderlich, dass mittlerweile von mehreren Seiten versucht wird, in den MES-Markt vorzudringen. ERP-Anbieter einerseits, die mit ihrem Grobplanungshintergrund versuchen, auch Feinplanungsthemen zu bedienen und ihre Vorzüge darin begründen, eine kombinierte Lösung zu liefern. Ziel ist hier vor allem die direkte Rückmeldung der Maschinen an das ERP-System.
Andererseits die Anlagenbauer und Automatisierer, die die direkte Kopplung zwischen eigenem MES und ihren Anlagen hervorheben. Natürlich klingen die angepriesenen Vorzüge verlockend, so ist beispielsweise die vorgefertigte, direkte Anbindung zwischen MES und Maschine auf den ersten Blick ein starkes Argument. In der Praxis gilt es aber vor allem, den Spagat zwischen möglichst wenigen Software-Systemen und maßgeschneiderten, integrierten Lösungen zu finden. Die standardisierte Konnektivität zwischen den Systemen ist damit weniger ein einzigartiger Vorteil gegenüber dem Wettbewerb, als vielmehr die grundlegende Voraussetzung auf dem Weg zu einer Industrie 4.0-Fertigung. Was trennt nun aber am MES-Markt die Spreu vom Weizen?
Standard trifft Individualprogrammierung
Betrachtet man die Automatisierungsebene, so zeigt sich, dass diese sehr stark von Individuallösungen geprägt ist. Anlagenspezifische Insellösungen je nach Hersteller und Branche sind hier leider noch immer weit verbreitet. Das liegt unter anderem daran, dass sich die Automatisierer mit ihren (MES-)Systemen eng und nahezu kompromisslos an die Maschinenebene und ihre Anlagen anpassen. Ein modernes MES muss sich jedoch der Verantwortung als zentrale Datendrehscheibe stellen. Es benötigt eine vereinheitlichende Schicht über alle Anlagen – das Kredo lautet hier: Standards anstelle individueller Programmierungen. Nur so können Daten zentral erfasst, verwaltet, aufbereitet und beispielsweise an das ERP-System weitergegeben werden. Hilfreich ist hier v.a. der Einsatz von Technologien wie OPC-UA, zur standardisierten Maschinenkommunikation. Es wird damit unerheblich, welche Anlagen in einem Maschinenpark stehen. Ein übergeordnetes, von der Automatisierungsebene losgelöstes MES, wird durch die Einhaltung von Standards, redundanzfreier Stammdatenhaltung und einem möglichst geringen Aufkommen von Schnittstellen zum zentralen Datendreh- und Angelpunkt für die Fertigung.
Die Wertschöpfungskette im Blick
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Frage, wie ein MES mit der digitalen Transformation entlang der gesamten Wertschöpfungskette umgehen kann. Die konsistente Erfassung von Maschinendaten stellt hier zwar eine wichtige Basis dar, ist aber auch nur einer von mehreren wichtigen Faktoren auf dem Weg zur intelligenten Fabrik. Effizienz ist eine der großen Maximen von Industrie 4.0-Bemühungen. Um diese Effizienz auch wirklich erreichen zu können, muss ein MES-Anbieter über den Tellerrand blicken und Anknüpfungspunkte zu fast allen Unternehmensbereichen finden. Dies lässt sich am Beispiel einer Traceability-Funktion sehr gut veranschaulichen. Für viele Kunden bereits ein wichtiges K.O.-Kriterium, benötigt es für eine durchgängige Chargenerfassung und –verfolgung die lückenlose Kommunikation zwischen den verschiedensten Unternehmensbereichen sowohl in der Produktion als auch darüber hinaus.
Die Vereinigung von betriebswirtschaftlichen und maschinennahen Prozessen kann nur von einem Software-System bewältigt werden, das auch zwischen diesen Ebenen agiert – was weder für ein ERP noch für die Automatisierungsebene zutreffend ist. Der Blick eines MES auf die gesamte Wertschöpfungskette hat einen weiteren positiven Effekt zur Folge. Die dabei erfassten Daten bilden die Grundlage für operative Business-Intelligence-Maßnahmen, die dabei helfen können, einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu unterstützen und die gewünschte Effizienz auf ein neues Level zu heben.
Fertigungsumgebung und Software in Einklang
Bei der Wahl des richtigen MES-Anbieters ist neben den produktspezifischen Merkmalen und der infrastrukturellen Ausrichtung vor allem ein Faktor von entscheidender Relevanz: Beratungskompetenz im Planungs- und Einführungsprozess!
Bei und vor der Implementierung eines MES kommt es vor allem darauf an, sich einen Partner ins Boot zu holen, der die eigenen Produktionsabläufe versteht und den gesamten Wertschöpfungsprozess in seine Überlegungen miteinbezieht. Um Fertigungsumgebung und Software perfekt in Einklang bringen zu können, benötigt es fundiertes Know-how in beiden Bereichen. Diese Kernkompetenz kann verständlicherweise nur einem MES-Anbieter mit Expertise im Bereich der Produktionsoptimierung zugesprochen werden. Ein Benefit daraus ist, dass dieser schon in der Planungsphase festlegen kann, welche Daten er in welcher Form von der Maschinenebene und den Anlagenbauern bzw. Automatisierern benötigt, um diese mit möglichst wenig Aufwand in sein System integrieren zu können. Unterstützt wird dies unter anderem durch standardisierte Schnittstellen wie OPC-UA. Die Vorteile für den Kunden liegen hier auf der Hand: Einheitliche Anbindungen schaffen eine fundierte Datenbasis, verbesserte Vergleichbarkeit, Vermeidung von Redundanzen und ein Produktionsumfeld, das für künftige Erweiterungen und Anpassungen vorbereitet ist.
Blickt man in Richtung Spitze der Automatisierungspyramide ist es besonders wichtig, saubere Abläufe und eine hohe Qualität im Datentransfer zwischen ERP und MES zu schaffen. Ein kompetenter MES-Anbieter verfügt üblicherweise über bewährte und oftmals auch zertifizierte Standard-Schnittstellen zu allen namhaften ERP-Anbietern. Zudem benötigt er fundiertes Wissen über die Funktionalitäten und Abläufe des jeweiligen ERP-Systems. Als Ergebnis kann beispielsweise ein hocheffizientes Zusammenspiel aus Grobplanung (ERP) und Feinplanung (MES) entstehen.
Fazit
Die hohe Relevanz von MES für eine Fertigung im Sinne von Industrie 4.0 lässt immer mehr Anbieter auf diesen Markt drängen. Auch ERP-Anbieter und Automatisierer schließen sich an und wollen mit neuen MES-Lösungen den Markt erobern. Was auf den ersten Blick vielleicht noch nach logischer Konsequenz klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen in den meisten Fällen nicht als die beste Wahl.
Vielmehr braucht es ein MES, dessen Einsatz unabhängig von der restlichen Systemarchitektur ist. Es sollte keine Rolle spielen, welches ERP oder welche Maschinen aktuell im Einsatz sind – ein professioneller MES-Anbieter muss mit ihnen allen kommunizieren und interagieren können. Bei seinen Überlegungen muss er daher einen generellen Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens wahren und zudem ein fundiertes Fachwissen über Fertigungsabläufe besitzen. Nur so kann ein MES seine wahren Stärken ausspielen – als Kernkompetenz.
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