„Wir müssen jetzt aktiv werden!“
Veröffentlichung des Textes mit freundlicher Genehmigung von SAP INFO online
Heute ist die IT aufgrund ihres Energie- und Materialverbrauchs mitverantwortlich für den Klimawandel. Morgen kann „Green“ IT ein Baustein im Kampf gegen die Emission von Treibhausgasen und den Raubbau an Ressourcen sein. Richard Barrington, Head of Corporate Affairs und Public Policy bei Sun Microsystems in UK und Irland, hat sich zum Ziel gesetzt, diese Vision Realität werden zu lassen. Bei Sun Microsystems ist er für eine nachhaltige IT-Strategie in Großbritannien und Irland verantwortlich, zudem berät er die britische Regierung. Richard Barrington spricht in diesem Interview über den Kohlendioxid-Ausstoß der IT, ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Zukunft und seine persönlichen Erfahrungen mit dem Klimawandel.
Der Nobelpreis für Al Gore hat den Klimawandel auf der politischen Agenda ganz nach oben gerückt. Glauben Sie, dass die Auszeichnung dem Kampf gegen die globale Erwärmung nützt?
Barrington: Die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels werden nach heutigem Stand der Wissenschaft gewaltige Überschwemmungen oder Dürren sein; Hunderte Millionen Menschen müssten umsiedeln. Das würde fast zwangsläufig zu politischen Unruhen führen und birgt damit erhebliche Risiken für Frieden und Stabilität auf dem gesamten Globus. Die Anerkennung für Al Gore zeigt uns, dass diese Bedrohung ernst zu nehmen ist.
Welche Szenarien gibt es, mit der globalen Erwärmung umzugehen? Welche Maßnahmen sind nötig, welche Ziele möglich?
Barrington: Die Zunahme der Treibhausgase in der Atmosphäre verursacht einen Temperaturanstieg. Als Nichtwissenschaftler, der sich mit den voraussichtlichen Auswirkungen befasst, denke ich, dass wir uns einen Anstieg von mehr als zwei Grad nicht leisten können. Hierzu müsste nach derzeitigem Stand der Wissenschaft der CO2 -Gehalt bei 400 bis 450 ppm bis 2050 eingependelt werden. Deshalb brauchen wir eine aggressive Strategie, und zwar sofort. Wir brauchen Richtlinien, um die CO2-Stabilisierung nach den Vorgaben der Wissenschaft zu gestalten. Dabei sollten wir nicht darauf schielen, was sich die Volkswirtschaften eigentlich leisten können. Denn fest steht: Eine Erwärmung um vier bis sechs Grad bis 2050 können wir uns auf keinen Fall leisten. Also müssen wir aufwachen.
Und wann sollten wir anfangen?
Barrington: Das CO2 bleibt für Generationen in der Atmosphäre. Andere „Treibhausgase“ wiederum haben andere Lebenszyklen und andere Auswirkungen. Wegen des enormen Verbrauchs nicht erneuerbarer Energien sollten wir uns auf CO2 und Methan konzentrieren. Wir müssen jetzt aktiv werden. Je länger wir untätig warten, desto höhere Kosten und Risiken handeln wir uns ein, wenn wir mit den Folgen fertig werden wollen. Es ist unsere Pflicht, den Klimawandel heute zu begrenzen. Außerdem müssen wir uns für den Fall vorbereiten, dass wir das nicht in den Griff bekommen.
Spüren Sie in Großbritannien bereits den Klimawandel und seine Auswirkungen?
Barrington: Die allgemeinen Auswirkungen der globalen Erwärmung werden verschiedene Folgen für uns alle haben, insbesondere hinsichtlich eines immer extremeren Wetters. Großbritannien hat seit Jahren keine größeren Schneefälle oder strengen Kälteperioden mehr gehabt – das bedeutet zum Beispiel, dass Insekten, Zecken oder Viren nicht absterben. Und es scheint, als gebe es jeden Monat ein „seit Beginn der Wetteraufzeichnungen“ einmaliges Wetterereignis. Diese veränderten Wettermuster führen zu „monsunartigen Regenfällen“, denen unsere Infrastruktur nicht gewachsen ist.
Welche Rolle haben Sie als Berater der britischen Regierung, und inwieweit hört die Regierung auf den Rat Ihrer Arbeitsgruppe?
Barrington: Keine Regierung agiert im luftleeren Raum. In Großbritannien hat die Regierung sehr positiv auf Unternehmen reagiert, die Taten, Unterstützung und Rechtssicherheit fordern. Ich habe die Treffen der Corporate Leaders Group on Climate Change und der Climate Change Task Force der Confederation of British Industry genutzt, um mit Ministern zu besprechen, was zu tun ist. Noch vor einigen Jahren gab es ein großes Dilemma. Die Regierungen blieben in Wartestellung, weil sie keine Gegenreaktionen der Wirtschaft provozieren wollten. Den Unternehmen wiederum fehlte Rechtssicherheit im Hinblick auf gewaltige Investitionen. Das ist jetzt anders. So erklärt etwa eine Firma wie EDF Energy, dass sie die CO2 -Intensität ihrer Energielieferungen bis 2020 um 60 Prozent senken wird.
Welche Verantwortung hat die Regierung bei der Bekämpfung des Klimawandels, und was können oder müssen Unternehmen und Bürger tun?
Barrington: Wir müssen alle zusammenarbeiten. Regierungen müssen die langfristige Politik und die finanzpolitische Strategie festlegen, um sicherzustellen, dass CO2 einen Preis hat und mit Kosten verbunden ist. Langfristige Investitionsentscheidungen der Unternehmen werden folgen. Je nach Sichtweise werden CO2 -Emissionen dem Energielieferanten oder dem Verbraucher zugerechnet. Grob lässt sich aber sagen, dass rund 50 Prozent von den Privathaushalten verursacht werden, 35 Prozent von der Wirtschaft, und der Rest durch Regierungsentscheidungen. Ich kann also als Bürger, Mitarbeiter und Wähler handeln, um Veränderungen voranzutreiben. Anders ausgedrückt: Jeder Einzelne hat drei Möglichkeiten, seinen Beitrag zu leisten.
Kostet es Sie viel Mühe, Ihre Gesprächspartner von den Vorteilen der „Green IT“ zu überzeugen?
Barrington: Entscheidend bei „Green IT“ sind fundierte Entscheidungen für Neuanschaffungen. Diese Entscheidungen versetzen die IT in die Lage, durch Kosteneinsparungen zum Unternehmensergebnis beizutragen, oft auch in Bereichen, die nicht mit dem IT-Budget zusammenhängen, wie Energie, Immobilien oder Abfallentsorgung. Außerdem geht es bei meinen Gesprächen mit Kunden häufig darum, wie die IT die Unternehmensziele hinsichtlich sozialer Verantwortung und Umweltschutz unterstützen kann. Nur wenige erkennen nicht den Wert, Anlagen optimal zu nutzen, das Markenimage ihres Unternehmens zu verbessern oder ihre Mitarbeiter stärker an sich zu binden.
Können Sie den Anteil der IT am globalen CO2 -Ausstoß quantifizieren?
Barrington: Zahlen sind bisher nur begrenzt vorhanden. Laut der Daten, die wir von Gartner, IDC und anderen Marktforschern haben, verursacht der Energieverbrauch der IT eine Milliarde Tonnen CO2. Das entspricht etwa zwei bis vier Prozent der globalen CO2 -Emissionen, etwa so viel wie beim Luftverkehr.
In entwickelten Ländern, deren Wirtschaft auf Dienstleistungen und Wissen basiert, ist die IT für acht bis zehn Prozent der nationalen Emissionen verantwortlich. Das derzeitige Wachstum bei den IT-Investitionen deutet darauf hin, dass sich dieser Anteil bis 2020 verdoppeln wird. Das ist allerdings genau der Zeitpunkt, an dem wir die globalen Emissionen eigentlich um 20 Prozent verringert haben müssten, wenn wir sie bis 2050 um 50 Prozent senken wollen. In der Wirtschaft erkennen viele die versteckten Effekte der IT nicht. Schließlich muss die IT-Infrastruktur beheizt, belüftet oder klimatisiert werden, was zu CO2 -Emissionen führt.
Wie lässt sich die Energiebilanz der IT verbessern?
Barrington: Effektiv verursacht der Desktop 80 Prozent der ökologischen Folgen der IT. Wir müssen diese Geräte optimal nutzen und sie möglichst durch Ultrathin-Clients ersetzen. Wir müssen die Hardware wieder ins Rechenzentrum verlagern, wo alle Ressourcen wie Festplatten, Speicher und Prozessoren zu Shared Services im Netzwerk werden. Das bringt finanzielle und ökologische Vorteile und senkt den Energieverbrauch.
Wo hat die Computerherstellung Probleme in Punkto Nachhaltigkeit, und wie sind sie zu lösen?
Barrington: Die IT-Fertigung hat eine ausgedehnte Lieferkette mit vielen verschiedenen Lieferanten. Das Problem besteht also darin, Transparenz und höchste Umweltstandards in einem verteilten Netzwerk durchgehend zu etablieren. Pro Fertigungseinheit werden außerdem erhebliche Mengen an Rohstoffen, sauberem Wasser und Energie verbraucht. In der Branche hat man sich zusammengesetzt und den Electronic Industry Code of Conduct (EICC) entwickelt, der Arbeiterrechte, Unternehmensethik sowie Umwelt-, Gesundheits- und Arbeitsschutz abdeckt. Sun arbeitet mit seinen Lieferanten zusammen, um sicherzustellen, dass dieser Kodex eingehalten wird.
Am Anfang steht jedoch ein sinnvolles Geräte-Design. Für eine nachhaltige Zukunft müssen wir unseren Ressourcenverbrauch reduzieren und mehr Material wieder verwenden, als wir es heute tun. Das erfordert neue Technologien mit niedrigem CO<sub>2</sub>-Ausstoß. Außerdem muss der gesamte Lebenszyklus eines Geräts unter Umweltgesichtspunkten bewertet werden. Beispielsweise haben wir in unseren Gehäusen Kunststoff durch Metall ersetzt. Zum einen reduziert sich unser Verbrauch an Kohlenwasserstoffen, zum anderen erhöht sich der Wert der Einheiten bei der Rückgewinnung. Wir haben damit aufgehört, unsere Produkte im Sun-typischen Blau zu lackieren. Das hat unseren Materialverbrauch gesenkt und das Recycling vereinfacht.
Sie haben umweltfreundliche Produktion und Shared Services genannt. Welche weiteren Aspekte gehören für Sie zum Konzept „Green IT“?
Barrington: Die Art und Weise, wie wir Beschaffung, Verpackung, Betrieb und Entsorgung in der IT handhaben, kann der Umwelt unmittelbar zu Gute kommen. Aber wir sollten nicht die einfachen Dinge vergessen – etwa ungenutzte Geräte auszuschalten oder Papier beidseitig zu bedrucken. Ein System, das nicht geschäftskritisch ist, benötigt keine redundante Stromversorgung, um die Verfügbarkeit zu sichern. Unter Umweltgesichtspunkten ist häufig der gesunde Menschenverstand der beste Berater.
Ich glaube, dass die IT auch ein Treiber für eine nachhaltige Zukunft mit niedrigem CO2 -Ausstoß und geringen Auswirkungen auf die Umwelt werden kann. Dafür kommen viele Bereiche in Frage: intelligentes Gebäudedesign, Motoren-Überwachung und -Tuning in Echtzeit, Verkehrssteuerung und Telearbeit. Mit der IT schaffen wir intelligente Lieferketten oder ermöglichen neue Behandlungen in der Telemedizin. Wir stehen erst am Anfang dessen, was denkbar ist, wenn Echtzeit-Überwachung und -Optimierung überall möglich sind. Wir sollten IT als Technologie wahrnehmen, die durch Dienstleistungen Wert schafft, und nicht als Symbol für Ressourcenverbrauch und rasche Überalterung.
Die IT steht an einem Scheideweg. Wenn ich darüber nachdenke, was Computer möglich gemacht haben – etwa bei der Entschlüsselung des Erbguts –, bin ich stolz darauf, in dieser Branche zu arbeiten. Aber wir müssen jetzt zu einer nachhaltigeren IT gelangen. Gesetzgeber und Kunden weltweit werden nichts Anderes zulassen. Dank der IT können viele Menschen an den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Vorteilen einer wissensbasierten Wirtschaft teilhaben. Das gibt mir Grund zum Optimismus.